Wenn alle Brünnlein fließen…

Sicher haben sich viele über die Rohrbrücke gewundert, die vor Kurzem von einer niederländischen Firma über die Schwimmbadstraße gebaut wurde. Wozu ist sie gut?

Die Erweiterung der Kläranlage erfordert eine sg. „Wasserhaltung“. Das heißt, es muß verhindert werden, dass Grundwasser in die Baugrube einströmt.

Ausnahmsweise hat man sich hier für die billigste Methode entschieden: Die „offene Wasserhaltung“. Das Grundwasser wird aus der Baugrube abgepumpt und über eine Rohrleitung, die die Schwimmbadstraße überbrückt, in 600 m Entfernung in den Hegbach geleitet. Die Pumpenleistung beträgt ca. 700 Kubikmeter pro Stunde. In den 15 Monaten, in denen die Baugrube plangemäß entwässert werden soll, werden auf diese Weise ca. 5,5 Millionen Kubikmeter Grundwasser abgepumpt und fließen in den Hegbach. Zum Vergleich: Der gesamte Trinkwasserverbrauch der Stadt Mörfelden-Walldorf beträgt im gleichen Zeitraum nur etwas mehr als 2 Millionen Kubikmeter.

5.5 Milionen Kubikmeter Wasser – mehr als doppelt soviel wie der gesamte Tinkwasser-Jahresverbrauch von Mörfelden-Walldorf – fließen nutzlos über den Hegbach in Richtung Rhein, während der Grundwasserspiegel absinkt

Der Grundwasserspiegel sinkt – der Wald leidet

In technischen Beschreibungen der offenen Wasserhaltung wird dazu gesagt:

„Da bei der Trockenlegung der Baugrube oftmals erhebliche Wassermengen abgepumpt werden, kann es dazu kommen, dass der Grundwasserspiegel sowohl innerhalb der Baugrube und, abhängig von der Umschließung der Baugrube, auch der Grundwasserspiegel im die Baugrube umgebenden Grundwasserleiter abgesenkt wird. Dies ist insbesondere bei größeren Wasserhaltungen zu beachten.“

Die Folge ist also eine Grundwasserabsenkung in der Umgebung der Kläranlage, die dem dort stehenden Wald sicher nicht gut tun wird. In einer Stellungnahme des Anlagenleiters vom 28. August 2020 heißt es dazu:

„Bei der aktuellen Grundwassersituation haben die umliegenden Waldbestände schon keinen Grundwasseranschluß mehr. Die Baumvegetation ist dementsprechend an das Wasserdargebot aus den natürlichen Niederschlagsmengen angepasst.“

Zu diesem Schluß kamen die „Beteiligten“, darunter das Forstamt Groß-Gerau, nicht etwa durch Begutachtung des Waldbestandes, sondern „nach Durchsicht der Unterlagen“. Die Trockenheit der Jahre 2018 und 2019, deren Folgen noch heute nicht überwunden sind, hat aber gezeigt, dass unsere Waldgebiete keineswegs an dieses „Wasserdargebot“ angepasst sind, sondern stark unter der Trockenheit leiden. Das kann jeder sehen, der nicht bloß „Unterlagen“, sondern den Wald selbst betrachtet.

Der Wald leidet unter Trockenheit

Der Grundwasserspiegel ist ohnehin schon gesunken, das ist allgemein bekannt. Das betrifft auch unsere Trinkwasserbrunnen in der Nähe des Wasserwerkes. In dieser Situation Millionen Kubikmeter Grundwasser einfach wegzupumpen und über das Bachsystem in den Rhein fließen zu lassen, ist wohl kaum eine klimaverträgliche oder gar nachhaltige Maßnahme.

Wasser fließt von oben nach unten

Aber es geht noch weiter: Da Wasser bekanntlich von oben nach unten fließt, wird beim Abpumpen von Wasser aus der Baugrube neues Grundwasser aus Richtung des Bahndammes nachfließen. Wie alte Mörfelder wissen, wurde der Bahndamm seinerzeit mit Erdreich aufgeschüttet, das aus zwei großen Gräben entlang des Dammverlaufs entnommen wurde. Diese Gräben wurden dann über viele Jahrzehnte, bis in die sechziger Jahre hinein, mit Hausmüll verfüllt. Die Bahn hat ihrerseits über Jahrzehnte hinweg Herbizide entlang der Bahnstrecke versprüht. Es kann als sicher gelten, dass all diese Stoffe entlang des Dammes in das Grundwasser gelangen konnten.

Zwischen der Bahnlinie links und dem Klärwerk rechts liegt das „Eisenbahnloch“, eines von mehreren „Drecklöchern“ entlang des Bahndammes, in denen über Jahrzehnte Müll, Bauschutt, Haushaltsabfälle vergraben wurden

Auch hier weiß die Anlagenleitung Rat:

„Eine Verschleppung der bahntypischen Herbizide ist nicht zu befürchten, da diese weit oberhalb des Grundwassers in der ungesättigten Zone zu erwarten sind. Dieser Sichtweise hat sich u.E. auch die Untere Wasserbehörde angeschlossen, da bisher keine entsprechenden Analysen verlangt wurden“.

Zu Deutsch: Die Untere Wasserbehörde hat noch nix gemerkt und keine Analysen angefordert, also teilt sie unsere Sichtweise, dass diese Giftstoffe nicht nachfließen, wenn wir ein paar Millionen Kubikmeter Grundwasser absaugen. Wir können also schon mal drauflosbauen und drauflospumpen.

Das macht doch nichts, das merkt doch keiner…..

Aber wenn doch irgendwann jemand was merkt? Auch hier hat man die Lösung:

„Natürlich kann sich das Erfordernis entsprechender Analysen noch im Genehmigungsprozess in Form von Auflagen baubegleitender oder vorlaufender Untersuchungen ergeben. Sollte sich dann in unerwarteter Weise die Notwendigkeit von Reinigungsmaßnahmen ergeben, wird situativ reagiert werden. Dies stellt jedoch keinesfalls die generelle Genehmigungsfähigkeit in Frage.“

Zu Deutsch: So lange keiner was merkt, kriegen wir die Grundwasserhaltung genehmigt. Und wenn doch jemand was merkt, dann gibt’s halt ein paar zusätzliche Auflagen. Dass dann alles teurer werden könnte, als wenn man sich gleich für eine Absperrung der Baugrube mit Spundwänden und den Verzicht auf das Wegpumpen von Millionen Kubikmetern Wasser entschieden hätte – wen interessiert’s? Der Gebührenzahler zahlt’s ja. Er hat die Baukostenerhöhung auf über 55 Millionen Euro hingenommen, also kann er auch noch die Kosten für die zusätzliche Reinigung des abgepumpten Grundwassers zahlen.

Die erste Baugrube der Kläranlagenerweiterung entsteht. Weitere werden folgen.

Und weiter:

„Nach Rücksprache mit der Unteren Naturschutzbehörde kamen diese zum Entschluss: „bedingt, durch die potentielle Betroffenheit von zwei Natura 2000 – Gebieten durch eine veränderte Einleitung des Grundwassers in den – Hegbachsee -, ist das Vorhaben gemäß § 34 BNatSchG auf seine Verträglichkeit mit den jeweiligen Erhaltungszielen hin zu prüfen. Es ist daher eine separate Prognose für das FFH-Gebiet* „Wald bei Groß-Gerau“ und das VSG** „Mönchbruch und Wälder bei Mörfelden-Walldorf und Groß-Gerau notwendig“. Die Erstellung o.g. FFH-Prognose wurde durch die Stadtwerke Mörfelden-Walldorf in Auftrag gegeben.“

Was auf Deutsch heißt:  Die Untere Naturschutzbehörde hat zwar gemerkt, dass hier etwas im Busch ist, und man hier vielleicht mal ein Gutachten einholen sollte. Wir haben’s auch brav in Auftrag gegeben, aber bis da was kommt, fangen wir schon mal mit dem Abpumpen an.

Klimaschutz sieht anders aus.

Die gesamte Planung muss auf den Prüfstand

Aber immerhin hat die die Verwaltung, wie man hört, schon mal eine Idee gehabt: Es soll eine kleine Menge des abgepumpten Grundwassers gesammelt werden, damit das Gartenamt mit ihm Bäume im Stadtbereich wässern kann. Fürwahr, ein Tropfen auf dem heißen Stein. Aber die restlichen Millionen Kubikmeter Grundwasser platschern weiter nutzlos in Richtung Rhein. Wir sagen: Hier muß schnell etwas Wirkungsvolles geschehen. Die gesamte Planung der Bauausführung dieser Kläranlagenerweiterung, die in der Ära Ziegler verzapft wurde, muss umgehend auf den Prüfstand.

Vielleicht ist ja noch Geld zu retten, das noch nicht versenkt wurde.

* FFH-Gebiete sind spezielle europäische Schutzgebiete in Natur- und Landschaftsschutz, die nach der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie ausgewiesen wurden und dem Schutz von Pflanzen (Flora), Tieren (Fauna) und Lebensraumtypen (Habitaten) dienen, die in mehreren Anhängen zur FFH-Richtlinie aufgelistet sind. FFH-Gebiete sind ein Teil des Natura-2000-Netzwerkes.

** VSG:  Vogelschutzgebiet