Alternative Fakten?

Der „Faktencheck“ der SPD im Faktencheck

Die SPD hat großflächig ein 4-seitiges Flugblatt zu Sanierung und Erweiterung der Kläranlage verteilt. Darin spricht sie von einem „Faktencheck“.

Fachleute, die das Blatt gelesen haben, sprechen eher von „Augenauswischerei“.

Schau’n wir mal, was die SPD so alles schreibt, und was dazu zu sagen ist:

„…. haben der SPD-Ortsvereinsvorstand und die SPD-Fraktion im Stadtparlament den Leiter der Kläranlage, Georg Lautenschläger, bei einem Ortstermin mit allen Einwänden konfrontiert, die in den letzten Wochen gegen eine grundlegende Sanierung der Kläranlage öffentlich vorgetragen worden sind: vor allem gegen die sog. Bemessungsgröße (vgl. Faktenscheck*) und gegen die vierte Reinigungsstufe“.

* so im Originaltext. Die SPD scheint oft an Schecks zu denken, 
anders ist dieser Freud'sche Tippfehler kaum zu erklären.

Zunächst glauben wir nicht an eine „Konfrontierung“. Eine solche wurde vom Leiter der Kläranlage bislang selten geduldet. Bei Mitarbeitern antwortete er schon mal mit Mobbing, und bei Kritik von außen mit Verleumdungsklagen. 

Es war wohl eher ein nettes Gespräch unter Freunden.

Was die vierte Reinigungsstufe betrifft, so hat es gegen sie nie Einwände gegeben. Weder von der DKP/LL, noch von den anderen Oppositionsparteien, noch vom Bürgermeister, noch von der Bürgerinitiative Abwasser Mö-Wa.

Was es allerdings gab, waren Fragen nach den Kosten. Die sind in allen geplanten Anlagenteilen weit höher, als man das von vergleichbaren Anlagen kennt.

Weiter heißt es:

„Georg Lautenschläger – seit 30 Jahren (!) auf der Kläranlage tätig – hat die beabsichtigten Investitionen konsequent verteidigt und diese fachlich kompetent erläutert.“

Dass Herr Lautenschläger konsequent alles verteidigt, was auf seinem Mist gewachsen ist, ist logisch. Aber hat er wirklich recht? Hat die SPD die „Erläuterungen“ auch fachkundig hinterfragt? Ein rundes Dutzend Mitarbeiter, die die Anlage in den letzten Jahren verlassen haben, betrachten die Vorgänge mit großer Skepsis. Viele von Ihnen arbeiten mittlerweile in anderen Kläranlagen. Viele stehen Herrn Lautenschläger in Fachkompetenz kaum nach, so weit sie ihn nicht sogar überholt haben.

„In den vergangenen Wochen hat es verschiedene öffentliche Stellungnahmen zu dieser Frage gegeben, die nicht von ausreichender Sachkenntnis geprägt waren.“

Das ist wohl wahr – aber die kamen nicht von der Opposition oder der Bürgerinitiative Abwasser Mö-Wa.

„Die Kläranlage ist in ihrem jetzigen Zustand nicht mehr für die Zukunft unserer Stadt geeignet. Schon heute ist sie überlastet und mit 48.000 „Einwohnerwerten“ (EW vgl. Faktencheck) zu knapp bemessen. Um eine vollständige Überlastung bei einem weiteren Anstieg der Bevölkerung und unter Berücksichtigung der drei Gewerbegebiete zu verhindern, ist die Erweiterung der Kläranlage nicht nur notwendig, sondern auch eine zwingende Voraussetzung, damit das Wasser in Mörfelden-Walldorf weiterhin geklärt werden kann.“

Hier lässt die SPD die Katze aus dem Sack: es geht um den Bevölkerungszuwachs, der sich aus dem Zubauen der „Grünen Mitte“ zwischen Walldorf und Mörfelden ergeben soll. Seit der Fusion 1977 liegt dieses Konzept in der Schublade vergraben. Ziel: Plus 20.000 Einwohner. Dieser Plan war damals erfolglos und wurde ad acta gelegt. Nun wird er vom Koalitionspartner Freie Wähler, die inzwischen offenbar das Sagen in der Koalition haben, wieder hervorgeholt und offensiv vorangetrieben. Man könnte fast meinen, dass sie unter gewaltigem Druck von bestimmten Interessengruppen aus der Immobilienbranche stehen. Wir erinnern uns: Als erstes Scheibchen der Salamitaktik wurde versucht, die Feuerwehr in dieser „Neuen Mitte“ zu etablieren. Das scheiterte am Votum der Bürger. Und jetzt soll als nächstes Scheibchen ein Baugebiet „Walldorf Süd-Ost“ entstehen. Allerdings stehen große Teile der „Grünen Mitte“ unter Natur- oder Landschaftsschutz. Und beim Seegebiet hat die Landesregierung jetzt schon die Rote Karte gezeigt. Aber aufgeben wird die SPD sicher nicht. Sie hat ja von Fraport gelernt, wie man solche lästigen Dinge wie „Bannwald“ aushebeln kann. Was soll da das bisschen Landschaftsschutz? Aber: Noch ist nichts beschlossen. Es gibt nur Planspielchen.

Festzuhalten ist jedenfalls: für die jetzige Bevölkerungszahl plus einem Zuwachs von 10% in 20 Jahren, der normalerweise eingerechnet wird, ist die jetzige Kapazität der Anlage völlig ausreichend, wenn sie sachgemäß gewartet und „gefahren“ wird. Die drei Gewerbegebiete machen der Kläranlage kein Problem. Dort gibt es kaum produzierende Industrie, und der Anfall von Abwasser aus diesem Bereich liegt unterhalb der üblicherweise angesetzten Durchschnittswerte.

Und weiter geht’s:

„Die finale Entscheidung über den Bau verzögerte sich um 2 Jahre, da das Regierungspräsidium Darmstadt als Genehmigungsbehörde gemeinsam mit dem Hessischen Ministerium für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz noch unentschieden darüber war, wie genau die vierte Reinigungsstufe ausgestaltet werden soll. Am Ende entschieden sich die Genehmigungsbehörden für die aufwändigste und teuerste Variante mit dem Zusatz der Ozonbehandlung des Abwassers“

Na klar – schuld sind immer die andern. Was die SPD verschweigt: Es besteht (noch) keine gesetzliche Pflicht zur Vorhaltung einer vierten Reinigungsstufe. Es gibt eine „Spurenstoffstrategie“ des Regierungspräsidiums, es gibt „auf die regionale Ebene heruntergebrochene Kernmaßnahmen“ und ähnlich hochtrabende Sprüche – aber noch keine Gesetzgebung und keine für alle verbindlichen Regelwerke. Diese müssen erst noch geschaffen bzw. überarbeitet und angepasst werden. Was die Landesregierung den Kommunen vorschlägt, ist ein „Deal“, den man – auf den Punkt gebracht – etwa so formulieren kann: „Wir müssen Abwasser in Zukunft viel umfassender klären als bisher, weil viel mehr Zeug drin ist, das es bisher gar nicht gab. Oder noch gar nicht gemessen werden konnte. Wir haben aber noch keinen Plan, wie das gehen soll. Deshalb suchen wir ‚Versuchskaninchen‘. Also Städte und Gemeinden, die bereit sind, das Risiko einzugehen, den Vorreiter zu machen und eine vierte Reinigungsstufe zu bauen, von der kein Mensch weiß, ob sie in fünf Jahren noch den Gesetzen, Grenzwertvorgaben und dem Stand der Technik entspricht. Um Euch das Risiko schmackhaft zu machen, beteiligen wir uns mit bis zu 70% an den Kosten. Na, wie wär’s?“

Die Koalition ist (manche sagen, „kniefällig“) auf diesen Deal eingegangen. Sie hat einen Förderantrag gestellt, der wohl ein bisschen – sagen wir mal – großzügige Zahlen aufwies. Wie einige Spatzen vom Ministeriumsdach pfiffen, sei man das Spiel ja gewohnt: Jeder schönt seine Zahlen, wenn es um Fördermittel geht. Aber, wie die hiesigen Ureinwohner sagen: „Man kann’s treiben. Aber auch übertreiben“. Deshalb hat wohl die Prüfung etwas länger gedauert und führte nur zu einer Teilanerkennung der vorgelegten Zahlen. Erst nach längerer Zeit – den Wald hatte man schon vorauseilend gerodet, zum Ärger der Forstbehörden auch ein bisschen mehr als gestattet – kam dann endlich ein „Zuwendungsbescheid“ von 4.6 Millionen Euro (bei 8.2 Millionen Euro veranschlagten Gesamtkosten). Scharfzüngige Rathausveteranen, die sich im Umgang mit Darmstadt und Wiesbaden an weitaus geschicktere Verhandlungs-Strategien erinnern können, meinten denn auch: „De Brehl** hätt‘ mindestens sechs Millione rausgeholt“.

**für Neubürger: Bernhard Brehl, SPD, war ein gewitzter Mann und 31 Jahre lang, von 1976 bis 2007, Bürgermeister zunächst von Mörfelden, dann von Mörfelden-Walldorf.

Kommen wir langsam zu dem Thema, das die Einwohner unserer Stadt bewegt:

„Werden die Abwassergebühren steigen?“

fragt die SPD, und behauptet dann:

„…dass die Abwassergebühren im Zuge der Sanierung und Erweiterung der Kläranlage steigen werden, ist seit dem Beginn der Planungen bekannt.

Das ist wahr. Unwahr ist aber diese Behauptung:

„Dieses Plus an Umweltschutz wurde parteiübergreifend in den zuständigen Gremien beschlossen und führt natürlich zu Mehrkosten“

Parteiübergreifend? Das mag für die Drei-Parteien-Koalition FW-SPD-FDP gelten.

Von der DKP/LL und anderen Oppositionsparteien wurden die Kosten zunehmend  kritisiert und hinterfragt.

Ja, und wie teuer wird’s denn jetzt?

Hier verfällt die SPD in langatmiges Blabla mit Millionen hin und Prozenten her, über die konkrete Höhe der künftigen Abwassergebühren informiert sie aber nicht. Das mag vielleicht daran liegen, dass Stadtkämmerer Burkhard Ziegler einen Weg gefunden hat, von den bislang errechneten knapp € 5,00 / pro Kubikmeter mit buchhalterischen Operationen ein wenig herunterzukommen und stattdessen „nur“ 

€ 4,50 anzusetzen. Leichtgläubigen Menschen kann man das im Wahlkampf als „sozialverträgliche Gebührensenkung“ verkaufen. Aber 62% höher als jetzt wären die Gebühren dann immer noch, und Hessenrekord sowieso.

Wie lautet also zum Schluß das Fazit der SPD? Hier ist es:

„Die Sanierung, Modernisierung und begrenzte Erweiterung der Kläranlage unserer Stadt ist dringend notwendig.

Das stimmt. Das hat auch niemand bestritten. Und weiter?

„Sie ist eine wichtige Investition in den Umweltschutz und die Zukunft unserer Stadt…“,

Auch das stimmt, und auch das hat niemand bestritten. Und weiter?

„…und sie fußt auf den modernsten wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Bau von Kläranlagen“

Auf was sollte sie auch sonst fußen? Auf Alchemie und schwarzer Magie?

Ja, liebe SPD, was sollte denn nun dieser ganze „Faktencheck“?

Fakt ist und bleibt:

  • die Sanierung und Erweiterung unserer Kläranlage kostet – Stand heute – 55 Millionen Euro. So teuer kommt in weitem Umkreis keine andere Kläranlage
  • die Riesensumme ist auf zahlreiche „Luxusplanungen“ zurückzuführen, wo an vielen Stellen praktisch der Maserati gekauft wurde, obwohl es ein Opel auch getan hätte
  • infolge dieser Planungen wird die Abwassergebühr auf eine rekordverdächtige Höhe klettern. Ob tatsächlich die bisher errechneten € 5,00 / Kubikmeter, oder „nur“ € 4,50 / Kubikmeter – es bleibt bei einem Angriff auf den Geldbeutel der Einwohnerschaft, der vermeidbar ist.

Nichts von alledem hat die SPD mit ihrem „Faktencheck“ widerlegt.