Wohnraum: Teures Investitionsobjekt, oder Grundrecht?

Was kann die Stadt tun, wenn Wohnen zur sozialen Frage wird?

Viel ist in den letzten Wochen zum Thema Bauen geschrieben worden. Besonders die SPD macht sich – was sie schon immer getan hat – jetzt zusammen mit ihren Koalitionspartnern FW und FDP für grenzenloses Bauen stark. Dabei bedenken sie nicht, dass wir Grenzen erreicht haben, und vieles einfach nicht mehr geht.

Entvölkerung im Norden – „Siedlungsdruck“ im Rhein-Main-Gebiet

Während der Süden Hessens vor allem durch das ungebremste Wachstum des Wirtschaftsraums Frankfurt geprägt wird, schrumpfen der Norden und die Mitte. Unterm Strich wird in Hessen mit einem Gesamtwachstum der Bevölkerung von nur 1.3% bis zum Jahr 2040 gerechnet.

Abwanderung in Nord und Mitte – Zuwanderung nur im Rhein-Main-Gebiet. Quelle: https://statistik.hessen.de/sites/statistik.hessen.de/files/AI8_akt_Auflage.pdf

Warum immer mehr Grünflächen für Baugebiete opfern?

Im Rhein-Main-Gebiet drängen Immobilienhaie, Baufirmen und mit ihnen verbundene Kommunalpolitiker auf ständige Ausweisung neuer Baugebiete. Zur gleichen Zeit stehen in Mittel- und Nordhessen immer mehr Wohnungen und Gewerbeflächen leer. Warum soll ausgerechnet Mörfelden-Walldorf seine Grünflächen für diese künstlich hervorgerufene Völkerwanderung vernichten?

Klimaschutz vs. Bauen um jeden Preis

Schrumpfender Wald – Gefahr für das Trinkwasser

In der Gemarkung Mörfelden-Walldorf befinden sich große Teile der letzten zusammenhängenden Waldflächen des Kreises Groß-Gerau. Durch den Auguststurm des Jahres 2019 hat Mörfelden-Walldorf etwa ein Drittel seines Waldbestandes verloren. Zudem ist der Wald durch die jahrelange Trockenheit in einem sehr schlechten Zustand. Das hat Auswirkungen auf den Grundwasserstand und damit auf die Trinkwasserversorgung. Wenn die Stadt ihre lautstark verkündeten Klimaziele erreichen will, kann sie nicht die letzten geschützten Waldgebiete und Grünflächen dem Wohnungsbau opfern. Dazu kommt, dass die meisten Flächen ohnehin Landschafts- oder Naturschutzgebiete sind, oder wegen des Fluglärmschutzes nicht mit Wohnungen bebaut werden dürfen. Hier hat die Landesregierung in Wiesbaden schon deutlich die „Gelbe Karte“ gezeigt.

Zerstörter Wald am Hegbach

Für wen soll gebaut werden?

Es geht also nur noch „Bauen im Bestand“. Aber für wen soll hier gebaut werden? Für Menschen, für die ein Haus kein Platz zum Leben, sondern nur eine „Investition“ ist, um ihren Reichtum vor der Geldentwertung in Sicherheit zu bringen? Oder für Menschen, die von ihrer Arbeit leben, eine Wohnung suchen, aber keine Mieten von 1000 Euro und mehr bezahlen können? 

„Der Markt“ kann es nicht richten

Der Immobilienmarkt ist in eine Schieflage geraten. Der Kapitalismus ist außer Rand und Band. Preise und Mieten gehen durch die Decke, Wohnungen sind kaum noch bezahlbar. Selbst wenn neue Wohnungen auf Wald- und Grünflächen entstehen würden, wären sie für die meisten Normalverdiener unerschwinglich, und für die Menschen auf der Warteliste des Wohnungsamtes (zur Zeit laufen etwa 450 Anträge) kommen sie schon gar nicht in Frage. Es wurde also – und wird weiter – „am Bedarf vorbei gebaut“.

Die Stadt muss am Wohnungsmarkt wieder mitreden können

Im Stadtgebiet gibt es Dutzende von Baustellen, an denen ein altes Ein- oder Zweifamilienhaus, oft mit Garten, einem neuen Gebäude weichen muss. Hier entsteht aber selten bezahlbarer Wohnraum. Das darf nicht sein. Die Stadt muss deshalb wieder die Möglichkeit bekommen, auf dem Wohnungsmarkt mitzubestimmen. Die Mittel dazu sind Nutzung des Vorkaufsrechtes und „Bodenbevorratung“. Der Begriff bedeutet, dass die Stadt selbst eigenen Grundbesitz aufbaut. Da sie die meisten eigenen Grundstücke unter dem Druck der „Haushaltsgenehmiger“ im RP in den letzten Jahrzehnten verkauft hat, muss sie wieder eigenes Bauland im Innenbereich in die Hand bekommen und dafür sorgen, dass dort bezahlbarer Wohnraum entsteht.

Wir schlagen deshalb vor, dass die Stadt sich darum bemüht, wieder Herr im eigenen Haus zu werden. Sie muss vom Land besser mit Geld ausgestattet werden. Sie darf den Wohnungsmarkt nicht den Spekulanten überlassen.

Unsere Vorschläge / Forderungen sind:

– Gründung einer Wohnungsbaugesellschaft unter Federführung der Stadt. Sie muss wieder selbst, im Interesse ihrer Einwohner, als Akteur auf dem Immobilienmarkt auftreten können. Die Schaffung von Sozialwohnungen muss oberstes Ziel dieser Gesellschaft sein.

– Leerstand vermeiden. Das geht auf mindestens zwei Wegen:

(1) Umwandlung von Gewerbe-Immobilien in Wohnraum.

In den Gewerbegebieten stehen nach einer ersten, nur oberflächlichen Schätzung 12,000 qm Büroraum leer. Allein das wären 130 Wohnungen, wenn man die statistische Durchschnittgröße von 92 qm zu Grunde legt.  Da ein Großteil der Wohnungssuchenden heute „Singles“ sind, wären sogar noch mehr Mietwohnungen zu gewinnen.

(2) „Vermiet‘ doch an Deine Stadt!“ / Einführung des „Viernheimer Modells“.

Die Stadt Viernheim hat einen Aufsehen erregenden Versuch gestartet: „Vermiete doch an Deine Stadt!“ – eine Idee, die schon von einigen anderen Gemeinden aufgegriffen wurde. Die Sache ist einfach: In privaten Häusern steht oft Wohnraum leer. Oft sind es ganze Häuser. Die Eigentümer würden schon gerne vermieten, scheuen sich aber aus vielerlei Gründen: Es gibt zu den Räumen keinen separaten Eingang, oder es müssen Modernisierungen vorgenommen werden, um aktuelle Vorschriften zu erfüllen. Viele Menschen haben auch berechtigte Angst davor, sich auf eine Vermietung einzulassen – man hört  so viel von Problemen mit Mietern, die sich als unangenehm herausstellen, oder man ist unsicher wegen juristischer  Scherereien, die mit einer Vermietung einhergehen können. Bei all dem kann eine Stadtverwaltung helfen: Sie kann den Wohnraum anmieten und so als verlässlicher Mieter auftreten. Sie kann mit günstigen Krediten aushelfen, wenn Erneuerungen gemacht werden müssen, um den freien Wohnraum in vermietbare Wohnungen umzuwandeln. Und sie kann den so angemieteten Wohnraum über ihr Wohnungsamt ohne Aufschlag an diejenigen weitervermieten, die bezahlbaren Wohnraum suchen. Es entsteht eine „win-win“ – Situation: Menschen auf der langen Warteliste des Wohnungsamtes können passenden Wohnraum finden, und die privaten Vermieter brauchen keine Angst vor Unannehmlichkeiten zu haben, weil ihnen diese von der Stadt abgenommen werden.

Geht doch: Das „Viernheimer Modell“ schafft eine „win-win-Situation“, und versorgt Wohnungssuchende mit preiswertem Wohnraum.

Die Stadtverordnetenversammlung hat jetzt einen Antrag der DKP/LL beschlossen, mit dem die Verwaltung verpflichtet wird, die Möglichkeit der Übernahme des Viernheimer Modells für Mörfelden-Walldorf zu prüfen. Schauen wir mal, was dabei herauskommt