Wie man sich mit fremden Federn schmücken lässt

In den letzten Tagen machte ein Artikel aus der FAS (Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, Sonntagsausgabe der FAZ)  vom 8. Januar 2023 die Runde. Er trägt den Titel „So einfach ist das Sparen“ und stellt den Ersten Stadtrat Karsten Groß (CDU) als denjenigen vor, der im Alleingang die Geldverschwendung in der Luxus-Kläranlage von Mörfelden-Walldorf erkannt hat und als Stadtkämmerer erfolgreich bekämpft.

Na gut, könnte man sagen, wenn man den Artikel liest, „Klappern gehört zum Handwerk“. Und wenn so ein Journalist von der guten alten FAZ daherkommt und um ein Interview bittet, darf man schon ein bisschen auf den Putz klopfen. Immerhin kommt Mörfelden-Walldorf nicht alle Tage in die überregionale Presse. Aber Tatsachen verschweigen und sich mit Taten und Erfolgen anderer schmücken lassen? Das geht gar nicht.

Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 08. Januar 2023 (Ausschnitt)

Ja, wer hat’s erfunden?

(Schweizer Bonbonwerbung)

Schon Bertolt Brecht fragte in einem Gedicht(1): „Der junge Alexander eroberte Indien.
Er allein? Cäsar schlug die Gallier. Hatte er nicht wenigstens einen Koch bei sich?“ Der Erste Stadtrat Karsten Groß wird hier so dargestellt, als habe er ganz alleine und ganz ohne Koch das Sparen erfunden und Millionenausgaben eingespart. Das ist eine grobe Unwahrheit. Es fängt damit an, dass in diesem Artikel wichtige Fakten einfach unterschlagen werden. Hat nicht ein „Whistleblower“(2)  im Jahr 2019 mit drei anonymen Briefen den Stein ins Rollen gebracht? Kein Wort davon. Hat nicht die DKP/Linke Liste die damals erhobenen Vorwürfe durch Fachleute überprüfen lassen, und dann den Skandal erst öffentlich gemacht? Auch davon kein Wort. Gut, die Kommunisten waren in der FAZ schon immer unwillkommen. Ihre Arbeit, ja ihre bloße Existenz wurden schon öfter ganz einfach unterschlagen.

Tunnelblick der FAZ

Dieser Tunnelblick der FAZ kann auch hier nur zwei anstatt drei Oppositionsparteien sehen – die Grünen und die CDU. Die DKP/LL gibt es für die Leser der FAZ einfach nicht: „Im Wahlkampf (gemeint ist die Kommunalwahl 2021) machten die Grünen und die von Karsten Groß angeführte örtliche CDU-Fraktion mit ihrer scharfen Kritik an den Klärwerksmillionen Punkte“, heißt es in dem Artikel. Ach, wirklich?  War es nicht so, dass zunächst nur die DKP/LL die Traute hatte, das heiße Eisen „Kläranlage“ anzufassen? Hat sie nicht in ihrer Stadtzeitung „blickpunkt“ von 2019 bis heute regelmäßig darüber berichtet? Hat sie nicht Anträge und Anfragen gestellt und erfolgreich einen Akteneinsichtsausschuss gefordert? Wurde sie nicht dafür verunglimpft? War es nicht so, dass der damalige Erste Stadtrat Burkhard Ziegler (Freie Wähler) in einer Stellungnahme schrieb: „Die Art und Weise, wie insbesondere von Seiten der DKP/Linke Liste mit dem anonymen Brief umgegangen wird und dass dieser an die Presse weitergeleitet wurde, wird hiermit aufs Schärfste verurteilt“? Und er schrieb weiter. „Es liegt der Verdacht nahe, dass im Vorfeld der Bürgermeisterwahl versucht wird, künstlich und gezielt einen politischen Hintergrund zu schaffen“. Heute arbeitet die CDU wie selbstverständlich mit diesem von der DKP/LL geschaffenen „künstlichen politischen Hintergrund“. Und sie hält es sich zu Gute, mit dem Thema „Punkte gemacht“ zu haben. Aber damals hat die CDU entscheidend dazu beigetragen, diesen Mann als Ersten Stadtrat zu installieren, der während seiner Amtszeit jede Aufklärung des Kläranlagen-Skandals mit allen Mitteln zu verhindern suchte.

2016: Abwahl des grünen Ersten Stadtrates auf Antrag der CDU

War es denn nicht die CDU, die anno 2016 den Antrag stellte, den bis dahin amtierenden Ersten Stadtrat Franz-Rudolf Urhahn (Grüne) abzuwählen, wofür sich eine Mehrheit der neuen SPD/FW/FDP-Koalition fand? Durch diese vorzeitige Abwahl wurde dem Steuerzahler zugemutet, eine Zeitlang zwei Erste Stadträte zu besolden – einen vorzeitig pensionierten und einen neuen (so viel zum „einfachen Sparen“ …). Und war es nicht so, dass sich dieser abgewählte grüne Erste Stadtrat schon damals mit dem Gedanken getragen hatte, in der Führungsetage der Kläranlage „Remedur zu schaffen“, durch seine Abwahl aber nicht mehr dazu kam?  „Eine Personalentscheidung: Projektplanung und Klärwerksleitung, vorher in einer Hand, wurden voneinander getrennt“, rechnet sich Herr Groß heute an. Das hätte er schon vor sieben Jahren haben können. 

Akteneinsichtsausschuss, Bürgerinitiative, Task Force, Betriebskommission – haben die denn nichts zu den Einsparungen beigetragen?

Und was ist mit den gewählten Gremien der Stadt und der Bürgerinitiative? Hat nicht der von der DKP/LL geforderte Akteneinsichtsausschuss erste Hinweise auf die Richtigkeit der Verschwendungsvorwürfe erbracht, die von dem „Whistleblower“ erhoben worden waren? Was ist mit der „Task Force“? Und ist es nicht so, dass es eine Betriebskommission der Stadtwerke gibt, in der Vertreter aller sechs ins Stadtparlament gewählten Parteien und fachkundige Bürger sitzen? Haben diese vier Institutionen nicht viele der Einsparungsmöglichkeiten „aufs Tapet gebracht“, die in dem FAS-Artikel einzig und allein dem Herr Groß als leuchtende Erfolgsfedern an den Hut gesteckt werden?

(Dieser Absatz wurde nach einem Kommentar von Karsten Groß nach Erstveröffentlichung am 16.01.2023 um die Punkte „Bürgerinitiative“ und „Task Force“ ergänzt)

2020: Der heutige Seniorpartner der schwarzgrünen Koalition kniff, als es ums Ganze ging

Im Jahr 2020 wurde mit der Vergabe von Schlüssel-Aufträgen im Umfang von ca. 15 Millionen Euro die bestehende verschwenderische Planung im Kern endgültig zementiert. Das war einer der letzten Akte der alten SPD/FW/FDP-Koalition, bevor sie bei der Kommunalwahl im März 2021 von den Wählern auf die Oppositionsbank verbannt wurde. Mehrere Anträge, die bisherige Planung auf den Prüfstand zu stellen, waren mehrheitlich abgelehnt worden. Der zu diesem Zeitpunkt schon amtierende neue Bürgermeister Thomas Winkler (Grüne) – heute der Seniorpartner der grün-schwarzen Koalition – hätte diesen fatalen Beschluß durch eine Beanstandung nach § 63 Abs. 2 HGO stoppen können, nachdem er zuvor mit einem Widerspruch nach § 63 Abs. 1 HGO an der SPD/FW/FDP-Mehrheit gescheitert war. Er kniff jedoch und verhinderte damit endgültig, dass die Angelegenheit vor das Verwaltungsgericht kam. Dieses hätte sich sicher auch die Vorgeschichte und den bestehenden Verschwendungsverdacht angeschaut.

Mögliches Einsparpotenzial drastisch verringert

Nach dieser Aktion war das noch mögliche Einsparpotenzial mehr oder weniger auf zweitrangige Dinge zusammengeschrumpft. Karsten Groß rechnet uns vor: „Wenn man sich anstrengt, sind fast immer 10 bis 15 Prozent drin“. Und weiter schreibt der FAZ-Journalist: „Für die Kläranlage hat er das Ziel ausgegeben, die veranschlagten Kosten auf 50 Millionen Euro zu senken“. Das ist ein bisschen mehr als 9% der mittlerweile veranschlagten Gesamtsumme von 55 Millionen Euro. Nicht sehr viel, wenn man bedenkt, dass die Planung ursprünglich einmal von 10 Millionen Euro ausging.

Lob für die CDU, Strafanzeige für die DKP/LL

Die Einsparliste des ersten Stadtrates enthält im Übrigen viele Dinge, die der vielgeschmähte „Whistleblower“ im Jahr 2019 aufgezählt hatte. „In der Planung wurde unverkennbar aus dem Vollen geschöpft, und der in Anspruch genommene finanzielle Überfluss brachte allerlei Überflüssiges hervor“ wird Karsten Groß von der FAZ zitiert. Nichts anderes wurde 2019 in den anonymen Briefen festgestellt: „Tebartz- van Elst(3)  lässt grüßen“ hatte „Whistleblower“ kurz und knapp geschrieben. Unter anderem dafür ist er nach wie vor von einer Strafanzeige bedroht, die die Stadtverwaltung Mörfelden-Walldorf 2019 gegen unbekannt gestellt hatte. Auch gegen die DKP/LL läuft noch eine Strafanzeige der Stadt – wegen „übler Nachrede“. Herr Groß hingegen läßt sich in einer überregionalen Tageszeitung feiern – geschmückt mit fremden Federn.

Der konservativen Presse stünde es im Übrigen gut an, wenn sie sich bei ihren Recherchen nicht nur auf eine Quelle beziehen würde. Sie käme dem Wahrheitsgehalt ihrer Berichterstattung näher.

(1) Aus „Fragen eines lesenden Arbeiters“. Bertolt Brecht schrieb das Gedicht 1935 im Exil in Dänemark.

(2) Whistleblower (engl.): Eine Person, die für die Öffentlichkeit wichtige Informationen aus einem geheimen oder geschützten Zusammenhang veröffentlicht. Dazu gehören typischerweise Korruption oder allgemeine Gefahren, von denen der Whistleblower erfahren hat. Im Allgemeinen betrifft dies vor allem Vorgänge in der Politik, in Behörden und in Wirtschaftsunternehmen.

(3) Franz-Peter Tebartz-van Elst, Von 2008 bis 2014 Bischof des Bistums Limburg. Kam wegen eines verschwenderischen Millionen-Projektes (31 Millionen Euro für einen Bischofsbau) in die Kritik und mußte zurücktreten